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Collegium Alexandrinum

der Universität Erlangen-Nürnberg

Wissenschaft für die Öffentlichkeit

Sommersemester 2005: Themenschwerpunkt: „Stadt und Stadtentwicklung“

 

Vortrag am Donnerstag, dem 16. Juni 2005 im Collegium Alexandrinum

 

Ort: Kollegienhaus, Raum 2.020, Universitätsstr. 15, Erlangen

Zeit: 20.15 Uhr



Im Sog der großen Stadt. Was die Kirchen zur Entwicklung und Kultur der Stadt beitragen können

 

 

Prof. Dr. Richard Riess

 

Theologe, Dipl.-Psychologe

Erlangen

 

In neuerer Zeit, in der die Bewohner der Städte die Bewohner des Landes an Zahl übertreffen, hat sich die Stadt, zumal die große Stadt, als eine ungeahnte Herausforderung herausgestellt: Denn längst hat sie sich bis in die letzten Winkel des Landes hinein auf vielen Gebieten zu einem Katalysator weiterentwickelt – sei es im Blick auf den Technologiebereich oder den Lebensstil, die Verkehrsanbindung oder den Medienkonsum. Die „Stadt“ ist – oftmals mehr als wir ahnen oder als es uns lieb ist – zu einem Leitbild, die „Verstädterung“ zu einem Element im Lebensgefühl vieler Menschen in der Moderne geworden, und die Städte haben allenthalben in der Welt einen unaufhaltsamen Sog nach sich gezogen. Dieser – ebenso schleichende wie spürbare - Prozess hat uns ohne Zweifel eine Vielfalt von Vorzügen und Privilegien beschert – einen relativ offenen Zugang zu Bildung und Kultur, zu medizinischer Versorgung und verbesserter Lebensqualität und vieles andere mehr. Zur gleichen Zeit haben die Entstehung und Vernetzung der Metropolen freilich auch eine Reihe von Schattenseiten und Konfliktfeldern mit sich gebracht: das Anwachsen von Kriminalität beispielsweise und Verkehrsproblemen, die Auflösung von elementaren Bindungen und die Vereinsamung des alten (und nicht nur des alten) Menschen. So gesehen ist die Stadt, zumal die große Stadt, längst schon zu einem Schrittmacher der Zivilisation wie auch zu einem Symbol für die Schattierungen des menschlichen Lebens geworden.

Auf diesem Hintergrund stellt sich eine Fülle von Fragen und Herausforderungen für die nahe bis mittlere Zukunft:

· Welche Prozesse und Parameter beeinflussen und steuern im Grunde die Weiterentwicklung der urbanen und urbanisierten Gesellschaften?

· Aus welchen Ressourcen (Geschichte, Selbstbild, geographische Lage und dergleichen) bezieht die urbane Gesellschaft überhaupt ihr Potential an schöpferischer Kraft, öffentlicher Verantwortung und Vision von Zukunft?

· Welchen spezifischen Beitrag können dabei einzelne Gruppierungen, Institutionen und Organisationen leisten, damit es zu einem gedeihlichen Zusammenspiel und zur Entstehung von humanen Spielräumen, eigenen Identifikationen und heimatlichen „Orten“ (F. Krüger) in der Stadt kommt?

Die Kirchen – um hier eines von vielen Beispielen aufzugreifen – leisten mindestens in dreifacher Hinsicht einen eigenen Beitrag zur Humanisierung der Stadt und des Urbanisierungsprozesses:

· Zum einen schlichtweg durch ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre ästhetische Existenz. Kann man sich Köln oder Mainz ohne ihre Dome, Freiburg oder Regensburg ohne ihre Münster, Nürnberg oder Hamburg ohne ihre Hauptkirchen vorstellen? Schon ihre Silhouetten allein sind Ausdrucksformen für Kontinuität und geschichtliche Verankerung, Bürgerstolz und Wiedererkennbarkeit, kurzum Symbole einer unersetzbaren Identität und „Hintergrundgewissheit“ (W. Huber).

· Zum anderen besteht der Beitrag der Kirchen zur Humanisierung der Stadt in der Bereitstellung einer Vielzahl von sozialdiakonischen und karitativen Aktivitäten wie zum Beispiel einer vielseitigen Beratungspraxis und Sozialarbeit, Pflegediensten und Kliniken, Hospizen und Kindergärten, Telefonseelsorge, Erwachsenenbildung, Fürsorge für Obdachlose (zum Beispiel der Nürnberger oder Erlanger „Tafel“) und dergleichen mehr – Aktivitäten, die auf ihre spezifische Art und Weise an den sozialen Netzwerken in der säkularen Stadt mitbauen.

· Zum dritten leisten die Kirchen einen Beitrag zur spirituellen Kompetenz von Menschen und Familien, nachbarschaftlichen Milieus und Gemeinden. Man sollte gerade diese Art der Zuarbeit zum Leben und Überleben in der Stadt nicht gering schätzen – die Ausbildung von ethischer Sensibilität etwa und Verantwortung, die Erziehung zur Überwindung eigener Narzissmen und Egoismen und zur Öffnung für das öffentliche Wohl und den Blick über den privaten Tellerrand hinaus, die Grundlegung eines Verständnisses für die Symbole und die Rituale, die Ideologien und die Liturgien des Lebens.

Letztlich dient der Beitrag der Kirchen zur Kultur der Stadt - zusammenfassend gesagt – der Stadt als einem  „Gesamtorganismus“, als einem „Leib“, einem vielgliedrigen „Körper“ (R. Sennett) wie auch der Stadt als einem Ort geistigen und geistlichen Lebens, sozusagen der Stadt und ihrer „Seele“. Denn Menschen spüren sehr wohl, ob eine Stadt eine „Seele“ hat. Sie wollen auf Dauer nur ungern und sie können auf Dauer nur ungut in Städten leben, die gnadenlos, herzlos, seelenlos sind.

 

Zur Person:

Prof. Dipl.-Psych. Dr. theol. Richard Riess, geboren 1937, hat in Neuendettelsau, Heidelberg, Erlangen, Chicago und Boston sowohl Theologie wie Psychologie studiert, eine klinisch-therapeutische Ausbildung in den Vereinigten Staaten und in Deutschland absolviert und als Gemeindepfarrer in München-Nymphenburg, als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Erlangen-Nürnberg, als klinischer Seelsorger und Supervisor an den Universitätskliniken Frankfurt/Main, als Dozent in der Pfarrerfortbildung und als Professor für Praktische Theologie an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau (von 1979 bis 2002) gearbeitet.

Er lebt und arbeitet seit seiner Emeritierung 2003 in Erlangen und widmet sich gegenwärtig besonders der Beziehung der Theologie zu Medizin und den Humanwissenschaften, zur zeitgenössischen Literatur, zur bildenden Kunst und zur Spiritualität in der modernen Welt.

Aus der Vielzahl seiner Veröffentlichungen seien exemplarisch genannt:

 

· Sehnsucht nach Leben.

Spannungsfelder, Sinnbilder und Spiritualität der Seelsorge. Göttingen 1987

 

· (Hg.). Die verletzlichen Jahre.

Handbuch zur Beratung und Seelsorge an Kindern und Jugendlichen. Gütersloh 1993

 

· (Hg.), In einem Wort.

Bekannte Autoren über Texte, die ihr Leben begleiten. München 2004/2005

 

 

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Stand: 15. Juni 2005